NOCTURNE
2016 Schloss Reichenau, kuratiert von Edelbert Köb
Eine romantische Reise durch die Nacht
4 1/2 NOT IDENTICAL
2011/2012, Single foto video loop
Sound environment by Karlheinz Essl
ANMERKUNGEN ZU GUIDO KUCSKO UND EINER AUSSTELLUNG
Im letzten Raum der ROMANTISCHEN REISE DURCH DIE NACHT wird es Tag für den Künstler Kucsko, der auch ein erfolgreicher Jurist ist. Mit klarem Kopf reflektiert er sein sozusagen »nächtliches« Tun in den vorhergehenden sechs Räumen aus der Sicht des Spezialisten für Urheberrecht. Er repräsentiert damit grundsätzlich weder ein ausgefallenes noch ein neues Künstlerbild, waren doch beispielsweise auch Carlo Goldoni oder E.T.A. Hoffmann Zeit ihres Lebens ausübende Juristen. Wie so viele andere Doppelbegabungen handelte es sich dabei allerdings um Literaten. Ein romantisches Künstlerbild hat sich allein für den bildenden Künstler hartnäckig bis heute gehalten. Es gipfelt in der Forderung nach hundertprozentiger Einheit von Kunst und Leben, der schicksalhaften und ausschließlichen Berufung zur Kunst, im Begriff des »Artiste Maudit«, eines zur Kunst alternativlos Verdammten.
Die Realität ist und war immer schon eine ganz andere. Künstler arbeiteten beispielsweise immer schon als Kunstlehrer, auch ganz große Künstler waren in vielen Phasen ihres Lebens gezwungen, nebenbei Brotberufe auszuüben. Heute sind Künstler ganz selbstverständlich auch Theoretiker, Kuratoren oder Kulturmanager, sie überschreiten Grenzen zu anderen Disziplinen wie Design, Architektur, Musik, Tanz, usw. Globale Phänomene entwickelter Gesellschaften wie Multitasking und Multidisziplinarität sind auch im Kunstbetrieb zur Selbstverständlichkeit geworden. Dass die Ausübung mehr oder weniger gegensätzlicher Berufe nicht nur Zeit- und Energieverlust für den jeweils anderen bedeutet, sondern auch Bereicherung und Anregung sein kann, beweisen viele großartige künstlerische Werke auf ganz unterschiedliche Weise, in der symbiotischen Verbindung unterschiedlicher Felder oder als Antagonismen. In Goldonis turbulenter Komödie DER DIENER ZWEIER HERRN werden etwa die Dialoge substanziell präziser beziehungsweise realitätsnaher, wenn sie zwischen Anwalt und Bankier geführt werden, während der Kammergerichtsrat Hoffmann sich befreit von bürokratischen Zwängen in phantastische Gegenwelten von Traum, Trauma und Wahnsinn zu flüchten scheint. Scheint – weil es genau besehen in beiden Fällen um die zentralen Kräfte menschlichen Seins und Handelns geht, um den Gegensatz von Ratio und Emotio, der wohl in keinem andern Berufsfeld als dem des Juristen in gleicher Schärfe als
Spannungsfeld erfahren wird. Bei Goldoni wird der Konflikt in die Gestalt der Komödie, bei Hoffmann in die der Tragödie gekleidet.
Guido Kucskos künstlerisches Werk zeigt hier durchaus Parallelen, tendiert aber eher zum Elegischen. Allerdings nicht nur, wie noch auszuführen sein wird. Grundsätzlich agiert er in einer anderen Disziplin. Goldoni und Hoffmann floaten wie er auch zwischen unterschiedlichen Welten, der realen und der metaphorischen, bleiben aber dabei in dem ihnen vertrauten Medium, der Sprache, während Kucsko vergleichbare Absichten in bildhafte Kunst übersetzt. Diese bildende Kunst befindet sich aber in permanentem Wandel, ihre traditionellen Kanons und Regelwerke in Auflösung. So gehört auch die Vorstellung des einen, gültigen Bildes als eigentliches Ziel und Höhepunkt künstlerischen Schaffens zu den vielen überholten Paradigmen der Moderne. Zum Paradigmenwechsel haben ganz wesentlich Foto, Film und Video beigetragen, die ab den 50er Jahren sukzessive Kunststatus erlangt haben. Die Möglichkeit mit geringstem Aufwand, sozusagen auf Knopfdruck die Augenblicke zu bannen und in deren Summierung Handlungsabläufe und Zeitspannen sichtbar zu machen, hat zu jenen Formen künstlerischen Denkens und Handelns geführt, die auch Guido Kucsko ganz selbstverständlich praktiziert. Dementsprechend ist für ihn das (fotographische) Einzelbild nur ein Gestaltungselement unter vielen möglichen – wenn auch ein zentrales – innerhalb diversen Strategien der Verbildlichung. Folglich steht er auch der ideologisch belasteten Diskussion um analoge oder digitale Fotographie oder um die Legitimität elektronischer Bildbearbeitung, etc., in Summe der Diskussion um die Reinheit seines bevorzugten Mediums, gelassen gegenüber. Er denkt in Sequenzen, in räumlichen und zeitlichen Zusammenhängen und Abläufen, in den Mechanismen der Ausstellungsproduktion, auch der Katalog- oder Buchproduktion. Er akzeptiert keine mediale Einschränkung, setzt bei Bedarf, Licht, Ton, Musik, Text und Objekt ein, wenn es seine Aussagen erfordern. Er liebt die Inszenierung. Die Raumsequenzen des Ausstellungsortes Schloss Reichenau animieren ihn dazu, sein ganzes Repertoire auszuspielen.
Trotz seines bevorzugten Mediums ist Guido Kucsko kein Fotokünstler im engeren Sinn. Es interessieren ihn die Potentiale, das Medium selbst zu wenig, ebenso die Welt der rein visuellen Erscheinungen. Er trägt bereits Bilder in sich, sucht und findet dafür Entsprechungen in der äußeren Welt. Er macht kein Geheimnis daraus, dass diese inneren Bilder in hohem Maß von Anstößen aus der Literatur ausgelöst wurden. Seine Kunst kann deshalb durchaus als literarisch bezeichnet werden. Worte, Begriffe Texte, auch konkret Literatur sind in seinen Arbeiten immer wieder präsent. Indirekt als Erfahrungshintergrund, direkt als Wandtexte, als Hinweise und Verständnishilfen in Werktiteln, als ergänzende Tonspuren von Videos, wie in Raum 3, wo ein geflüsterter Text von Franz Kafka erst die inhaltliche Deutung des surrealen visuellen Ereignisses ermöglicht: ein Deckenausschnitt, beziehungsweise eine im Dunklen schwach leuchtende Deckenlampe wandert langsam durch den Raum. Das stille Bild und der geflüsterte Text scheinen den Titel der Arbeit »Großer Lärm« direkt zu konterkarieren. Lärm wird anders als im Text ex negativo definiert er schmerzt erst in der Stille.
Illustrativ aber sind Kucskos Arbeiten nie. Wenn beispielsweise die Anregung für eine romantische Ausstellung über die Nacht auf die Nachtstücke E.T.A. Hoffmanns zurückgeht, ist die künstlerische Welt Kucskos eine sehr andere, eine indirekte der Andeutungen, des Unausgesprochenen und Unaussprechbaren – nicht der panischen Angst, des Horrors und der Katastrophen. Er schafft Atmosphären des Unheimlichen, Morbiden, des Verfalls, über denen aber immer ein mildernder, Distanz schaffender Schleier des Traumhaften, seltsam Unwirklichen liegt. Natur und Artefakte, Architekturen und Räume ersetzen in seinen Bildwerken den in der Dichtung zentralen Menschen, der, wenn überhaupt, nur als Schemen, als Fragment unscharf, im Licht oder in der Dunkelheit verschwimmend vorkommt. Die Objekte die ihn ersetzen, die noch von ihm künden, sind fast immer alt, aus vergangenen Zeiten, zeigen Spuren des Gebrauchs, der Abnützung, stehen für Zeit und Vergänglichkeit. Auch ansatzweise vorhandene Erzählungen wie in Raum 2, »Die Stadt«, lösen sich letztlich immer in geheimnisvollen Bildsequenzen auf. Eine angefügte Widmung für Woody Allen erschließt sich nur wenigen Eingeweihten: Der Filmscheinwerfer, der laute Jazzkeller in der Stille der nächtlichen Stadt. Wir rezipieren, sehen und empfinden vor allem Licht und Dunkel, Lärm und Stille, Wachen und Schlafen, Denken und Träumen –eingebunden in eine räumlichen Sequenz: Die Sicht von oben, der Blick in verborgene Räume, das Verlassen der Stadt und der Blick zurück.
Vor der möglichen Gefahr des Illustrativen bewahren den Künstler neben seiner eher abstrakten Metaphorik auch sein Hang zum Minimalistischen, zur formalen Reduktion. Trotz der im dritten Absatz dieses Textes beschriebenen, postmodernen Auflösungserscheinungen des Bildes und der sich daraus entwickelnden alternativen Bildstrategien wirkt die Faszination reduktionistischer Inkunabeln des Modernismus, wie sie etwa die »Bleues« von Yves Klein und Kazimir Malevichs »Schwarzes Quadrat« in reinster Form verkörpern, weiterhin ungebrochen – auch oder gerade auf Künstler, so auch auf Guido Kucsko. Nicht zuletzt wegen ihres (diskussionswürdigen) Anspruchs des Transzendentalen, der Behauptung mehr als das Sichtbare transportieren zu können. Im (behaupteten) Mystischen der »Superficies Bleues« und im Geheimnisvollen des schwarzen Quadrats verbergen sich nämlich die zentralen Themen Kucskos, die Vereinbarkeit oder Koexistenz, die Unvereinbarkeit oder Gegensätzlichkeit rationaler und irrationaler Sphären.
Die Assoziation zu Malevich drängt sich bei dieser Ausstellung geradezu auf. Das durchgehende Schwarz der begleitenden Graphik, das dominante Schwarz des Ausstellungsdesigns sind aber nur vordergründige formalistische Bezüge. Es ist mehr jene unausgesprochene Ambition, hinter dem oft Fragmentarischen, Ausschnitthaften, die Existenz von Zwischenwelten sichtbar, besser spürbar zu machen (Raum 5, »Der Traum«). Im Sinne Wittgensteins, der meinte, dass alles existenziell Wichtige nicht mit den Mitteln der Sprache und deren Logik, sondern nur mit den Mitteln der Kunst gesagt und ausgedrückt werden könne. Hier also mit den Mitteln der bildenden Kunst das Unsichtbare, Unfassbare, unter anderem durch das Angedeutete.
Guido Kucsko vermeidet letztlich die Entscheidung zwischen Emotio und Ratio, zwischen realen und imaginären Welten. Er entscheidet sich für ein Sowohl als Auch. Nicht unähnlich seinen literarischen Vorbildern und trotzdem ganz anders. Wie diese bleibt er in seinen mehr narrativen Arbeiten ambivalent, die Sphären vermischend, was durchaus lebensnah sein dürfte. Parallel dazu verfolgt er ein ganz anderes, völlig unterschiedliches künstlerisches Konzept, Konzeptkunst im engeren Sinn. Er produziert schlüssige Gedankengebäude, deren mediale Umsetzung a priori offen ist. Im schon erwähnten Raum 7 der Ausstellung sind es ein Gesetzestext, ein Text von ihm selbst und eine illustrativ bildhafte Gestaltung. Letztere kann und muss wohl als Zitat modernistischer Bildkonventionen, hier des Triptychons und der Monochromie verstanden werden. Die zu diesem Werktypus gehörigen Arbeiten stellen Grundfragen zur Kunst im Spannungsfeld von Philosophie, Logik und Legistik. Ihr Tenor ist ironisch, ihre Ästhetik subtil minimalistisch.
Edelbert Köb
Geht / Geht nicht / Geht vielleicht
Wer wollte bezweifeln, dass jede kreative Leistung mehr oder weniger auf den geistigen Leistungen anderer aufbaut. Jede Erfindung fügt dem vorhandenen Stand der Technik etwas Neues hinzu, geht einen Schritt, manchmal sogar einen sehr großen, weiter und wird so vielleicht zur »Pioniererfindung«, die eine ganze Techniksparte für Jahrzehnte prägt. Sie ist aber nicht völlig unabhängig vom vorbestehenden Wissen der Zeit. Ebenso greift die Sprachschöpfung Themen auf, die wir wiedererkennen, verwendet Worte, Phrasen, Begriffe die wir lesen und verstehen können, und doch kann sie etwas Neues, zuvor nicht Dagewesenes schaffen. Und in der bildenden Kunst verhält es sich nicht anders, wie die Ableitungen der Kunsthistoriker uns lehren. Das mindert die schöpferische Leistung des Urhebers keineswegs – jedenfalls, sofern er tatsächlich Neues hervorbringt und sich nicht mit dem bloßen Wiederholen und Plagiieren des schon Vorhandenen zufriedengibt.
Wie gehen wir als Gesellschaft mit dem Interessenkonflikt zwischen demjenigen, der etwas Neues geschaffen nhat und es als das Seine betrachtet, und allen anderen, die darauf aufbauen und es in irgendeiner Form verwenden wollen, um? Wir gewähren dem Schöpferischen Schutz, akzeptieren aber die grundsätzliche Freiheit aller anderen, es zu nutzen und darauf aufzubauen, setzen dieser Freiheit aber auch wieder Schranken. Dazu bedarf es eines sehr fein austarierten, immer wieder nachzujustierenden Systems. Dies verhandelt die über mehrere Räume ausgebreitete Installation NOCTURNE:
Natürlich (er)kennen wir die Codes der Romantik, kennen das Thema der Nocturne, die Symbole der Nacht. Und viele haben sich bereits an diesen Vorgaben abgearbeitet, in der Literatur, Musik und Kunst, das Thema immer wieder aufgreifend, immer wieder neu hinterfragend, immer wieder neu für uns erlebbar und anschaulich machend. Wunderbare Werke sind entstanden, jedes einzigartig, jedes ein Beitrag zum Kanon der Kunstgeschichte, der Katalogbeitrag von Michaela Schlögl erzählt uns davon.
Die Referenz an die Natur, an Bäume und Höhlen in der Nacht im 1. Raum ist naheliegend, ein Stimmungsbild, nicht mehr, ohne in den Vorbehalt all jener einzugreifen, die Ähnliches abgebildet haben. Der 2. Raum zitiert die Nacht in der Stadt und fügt den bekannten Ansichten ein narratives Element hinzu, mit einem surrealen Bild, das ein als bloß hölzernes Imitat entlarvtes Stück Erde nach vorne ins Dunkel der Nacht kippen lässt. Ein Zitat aus der Epoche des Surrealismus, auch das im Freiraum des uns allen zugänglichen Formenschatzes, denn auch der künstlerische Stil als solcher wird dem Urheber nicht vorbehalten. Jeder Nachfolgende darf im Stile bekannter Vorbilder schaffen, solange er sie nicht bloß plagiiert – das »geht«. Der 3. Raum verdichtet diese Fragestellung durch einen wörtlich vorgetragenen Text, öffentlich wiedergegeben. Die daraus entstandene Videoinstallation ist eine eigentümliche geistige Schöpfung. Sie verwendet aber unverändert fremdes geistiges Eigentum, einen längeren Text von Franz Kafka. Auch dies »geht«, denn Franz Kafka ist 1924 verstorben und unser Urheberrechtsgesetz hat den Schutz seiner Werke 70 Jahre nach Ablauf des Todesjahres enden lassen. Sie sind gemeinfrei geworden, jeder darf sie verwerten. Der 5. Raum verhandelt tiefe Träume und die Assoziation zu Sigmund Freud und seinen Werken zur Traumdeutung liegt nahe, ohne jedoch in bestehende Rechte einzugreifen und auch der Schutz seines Werkes – er ist 1939 verstorben – ist abgelaufen – auch das »geht« also.
Der 6. Raum nimmt auf den Roman »Die andere Seite« von Alfred Kubin (gest. 1959) Bezug. Die Schutzfrist ist also noch nicht abgelaufen – »geht nicht«. Textzitate wären allenfalls im Rahmen des Zitatrechts möglich – also: »geht vielleicht«. Das führt uns aus einer einfachen schwarz/weiß Betrachtung hinaus, wie ein Blick auf die durchaus interpretationsbedürftige Regelung zum Zitatrecht zeigt. Wir kommen in eine Grauzone und die Entscheidung des schöpferisch Tätigen wird plötzlich auch zu einer juristischen. Ich habe mich im 6. Raum für den sichereren Weg entschieden, ein Textzitat zu unterlassen. Die Räume sind also nicht unwesentlich von
Determinanten bestimmt, die außerhalb des freien kreativen Schaffens liegen und dieses nicht unerheblich reglementieren und einschränken.
Der frei Schaffende beginnt, bevor er die nächste Stufe anfügt, in »geht | geht nicht | geht vielleicht«, in »weiß | schwarz | grau« zu denken.
Guido Kucsko