Defensio

2019 MdbK Museum der bildenden Künste, Leipzig

Ein kleines handgefertigtes Büchlein, in dem zwei schwarze Fahnen über konzeptuelle Kunst diskutieren. Die Seiten des Heftes sind als Fahnen im Rhythmus der Wandpaneele in der Halle angebracht.

ZWEI SCHWARZE FAHNEN DISKUTIEREN ÜBER KONZEPTKUNST

Für sein jüngstes Projekt im Museum der bildenden Künste Leipzig greift Kucsko die regelmäßige, in gleich große Betontafeln segmentierte Wandgliederung des Ausstellungsraums auf, die architektonisch dem modernistischen Diktat des Rasters entspricht. Es erinnert ihn an den aufgeschlagenen Seitenspiegel eines Buches.

Daraus entwickelt er sein Konzept für eine raumfüllende Installation als Reverenz vor der großen Tradition der Stadt Leipzig als Buchdrucks- und Verlagsort. Er verhängt die Betontafeln paarweise und abwechselnd mit schwarzem Stoff und mit mit Text bedruckten Bahnen. Statt Bildern an der Wand zeigt er „Fahnen“ – in Referenz zum Buchdruck. Es entsteht ein überdimensionales, polyperspektivisch zu lesendes Buch mit beschriebenen und unbeschriebenen „Seiten“. Erzählt wird eine Geschichte über Konzeptkunst, und zwar auf ungewöhnliche Weise. Der schwarze Stoff entpuppt sich als Zaubertuch und transformiert die Fahnen auf animistische Weise zur intellektuellen Selbstreflexion ihres Ding- und Kunstcharakters. Sie entwickeln ein Eigenleben. Es entspinnt sich ein fiktiver, für den Betrachter gleichzeitig nachzulesender Dialog unter dem Titel Zwei schwarze Fahnen diskutieren über Konzeptkunst. Die beschriebenen Fahnen unterstellen den schwarzen Stofffahnen, dass sie sprechen. Das tun sie in Form einer Doppelconférence, eines Dialogs zwischen Gesprächspartnern, in dem einer die Rolle des Klugen annimmt, während der andere Begriffsstutzigkeit mimt.

Sie agieren wie zwei Fremde, die ihren Weg in ein Museum gefunden haben, wo sie sich erst zurechtfinden müssen, und verständigen sich darüber, wo sie eigentlich gelandet sind. Gleichzeitig versuchen sie, sich in ihre neue Rolle einzu- finden, wo doch ihre Natur eben noch simpler, schwarzer Stoff war. Trifft es wirklich zu, dass sie durch ihre Zweckentfremdung, das Herauslösen aus ihrer alltäglichen Bestimmung, alle Funktionen praktischen Gebrauchs einbüßen und eine neue erhalten, nämlich Kunstwerke sind? Die Fragen und Antworten ergeben eine augenzwinkernde Einführung in die Bedingungen von Konzeptkunst. Die Readymades
von Duchamp stehen Pate. Auf humorige Weise räsonieren die Fahnen über die Möglichkeit ihres neuen Stellenwerts, da sie sich nun in einem Museum befinden.

Sie erkennen, dass es erstens ihrer Auswahl und zweitens ihrer Präsentation im Museum als einem gesellschaftlich legitimierten Ort zu verdanken ist, in diesem Möglichkeitsraum potenziell zu Kunstwerken werden zu können. Plötzlich, mitten in einen Kunstkontext eingebettet, fehlt nur noch die Interaktion mit dem Betrachter, jener kollaborative Prozess der Betrachtung, der durch seine Wahrnehmungsleistung den künstlerischen Akt erst vollendet und das vom Künstler und Kunstexperten für ein Museum legitimierte „Ding“ ein weiteres Mal als Kunst affirmiert. Der museale Rahmen ruft eine Erwartungshaltung hervor und verändert den Blick des Betrachters, der den Wandel eines Gebrauchsgegenstands zum Kunstwerk vollzieht.

Kucsko ist ein „sokratischer“ Künstler. Er steht in der Tradition des antiken Philosophen. Anhand gleich mehrerer seiner Kunstwerke fordert er den Betrachter mit direkten Fragen heraus. In seinen Ten black panels questioning art and copyright(2017) kombiniert er jede der in Format und technischer Machart ident angefertigten schwarzen Monochrome mit einer Frage als vermeintlichem Werktitel. Zehn
Fragen thematisieren Paradigmen des Kunst- und Rechtssystems: ob das überhaupt Kunst ist (#1 Is this panel a piece of art?), die urheberrechtliche Schutzwürdigkeit
(#2 Is this panel copyright-protected?), die Vervielfältigung (#3 Is panel #3 a copy of panel #2?), das Schöne an sich (#4 Is this beautiful?), Un-Vollendung (#5 Is this workof art finished?) und Autorschaft (#6 Has this panel been created by the author or the printer?), ob Kunst nur in Verbindung von Werk und Titel entsteht (#7 Is this panel only art when combined with this question?), eine Wertsteigerung durch die Signatur eintritt(#8 Is this panel more valuable if it is signed?), Gemeinfreiheit begründet wird, falls der Autor auf seine Rechte und Forderungen verzichtet (#9 Is this panel public domain if the author waives all rights and claims?) und schließlich ob eine dieser Tafeln über- haupt eine Antwort auf diese fundamentalen Fragen liefern kann (#10 Is this panel an answer to these questions?). Kucskos Fragen dienen stets der sachlichen Objektivierung zur Klärung des Faktischen. Für seinen Vortrag über Konzeptkunst Another attempt to answer a simple question an der Faculty of Law der University of Oslo (2018) spannte er über die Säulen des Eingangsbereichs ein schwarzes Transparent, auf dem zu lesen war: „Is this idea a copyrightable work of art?“ Beim kritischen Versuch, wahrheitsgültige Antworten zu finden, geraten scheinbar gesicherte Standpunkte und Sichtweisen von Kunsthistorikern und Juristen ins Wanken. Vieles scheint möglich, nichts ausgeschlossen, stets muss der Einzelfall beurteilt werden.

Für die Installation im Museum der bildenden Künste Leipzig bildet Kucsko in gewisser Weise einen sokratisch-platonischen Dialog nach, der sich durch die Suche nach dem wahren Wissen über das Wesen (ousia) einer Sache auszeichnet. Für die Stofffahnen textet er einen fiktiven Dialog über das Wesen der Konzeptkunst. Künstler kommunizieren über ihre Kunstwerke. In Leipzig ist das anders. Hier liefert der Künstler die Vermittlung seiner Kunst gleich mit. Die Stofffahnen bilden das Thema, aber rücken in den Hintergrund. Sie bilden nur den Aufhänger für eine Defensio, an deren Ende die Erkenntnis steht: „Wir und unser Diskurs über Konzeptkunst sind Konzeptkunst!“

Das Beiwerk, die fiktive Kommunikation der Fahnen, tritt in den Vordergrund. Jacques Derrida hat in seinem Band Die Wahrheit in der Malerei einen Text über das Parergon verfasst (1978). Laut Derrida hört der Bereich des Parergonalen nicht im Bild auf, sondern geht darüber hinaus, greift über auf den Bilderrahmen, auf die Wand des Museums und die Bildbeschriftung. Die Gesprächsebene entspricht der Ambivalenz des Parergons, es ist etwas, das weder ganz außen noch ganz innen ist. Der Dialog gehört weder zur Welt des Betrachters noch zu den Kunstwerken. Er steht als Beiwerk dazwischen. Die bildästhetische Wirksamkeit des Nebensächlichen entfaltet sich
als methodischer Zwischenschritt der Bildanalyse. Sie ergänzt die inhaltliche Interpre- tation und wird selbst zum Sprachwerk. Die Hierarchie von Haupt- und Nebensache wird auf den Kopf gestellt. Dennoch erfüllt der Dialog die zentrale Aufgabe eines Bei- werks, nämlich das Interesse für das Werk zu steigern.

Doris Leutgeb

Das Büchlein

Diskurs der Fahnen zur Verteidigung der Konzeptkunst

Installationsfotos: Michael Ehritt

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