10 black panels questioning art and copyright

Galerie Krobath, Wien, 2017

10 black panels questioning art and copyright (Doris Leutgeb)

Es war im Jahr 1882, als ein monochrom schwarzes Gemälde mit dem Titel Combat de nègres dans un tunnel in der Galerie Vivienne in Paris ausgestellt wurde. Sein Urheber Paul Bilhaud, keineswegs Maler, sondern Dichter, setzte damit einen drastischen Akt der Verweigerung. Er galt dem Pariser Salon, der die Macht beanspruchte, darüber zu urteilen, ob ein Werk in der Tradition der Historie des Genres als geglückt oder verfehlt gelten konnte. Die titelgebende Szenerie stachelte die Phantasie der sich am Exotismus begeisternden Pariser Gesellschaft an, wurde aber von einer gänzlich schwarzen Bildfläche konterkariert. Die Erwartung der angemessenen Darstellung einer Kampfszene wurde nicht erfüllt, jede Beurteilung über mehr oder weniger geglückte Komposition und Narration verunmöglicht, ja ins Absurde gerücktauf humoristische Weise. Davon inspiriert, stellte Alphonse Allais 1897 weitere monochrome Bilder mit übertrieben literarischen Titeln vor, darunter auch ein monochrom schwarzes: Combat de nègres dans une Cave, pendant la nuit:

Lag hier eine frühe Appropriation vor? Nein, es handelte sich um ein Plagiat unter Künstlern. Allais und Bilhaud waren befreundet.

Das französische Urheberrecht macht seit 1953 Ausnahmen für Nutzungen der Parodie, Pastiche, Karikatur als freie Werknutzungen, die das österreichische Gesetz bis dato nicht ausdrücklich regelt. Aus heutiger Sicht und nach nationaler Rechtslage hätte Allais den Originalitätsanspruch von Bilhaud unterlaufen, weil er ihn kopierte und mit eigenem Namen signierte. Vor unzulässiger Vervielfältigung schützt der modifizierte, aber zT wörtlich übernommene Titel, der das Thema an einem anderen Schauplatz ansiedelt, nicht, denn ein Werk ist als Ganzes und in seinen Teilen geschützt. Ob es sich um eine abhängige Bearbeitung oder freie Nachschöpfung handelt, ob das Werk von Bilhaud gegenüber dem Werk von Allais „verblasst“, wie die Rechtsprechung fordert, ist nicht feststellbar. Ein Maß an Eigentümlichkeit kann im Sinne des Kriteriums objektiver Unterscheidbarkeit, von dem das europäische Urheberrecht seit den 1990er Jahren ausgeht, nicht erhoben werden. 

Die schwarzen Bildflächen bieten sich als Projektionsflächen an. Jeder Betrachter wird seine eigene Vorstellung zu den Bildtiteln entwickeln, die seine Gedankenwelt nicht verlässt. Für die Idee an sich gilt im europäisch-kontinentalen und anglo-amerikanischen Rechtssystem ein Grunddogma des Urheberrechts: Abstrakten Ideen kann kein Schutz gewährt werden. Die Idee, abstrakt monochrome Bilder zu schaffen, ist gemeinfrei wie auch Stil, Technik und Manier. Auf dieser rechtlichen Basis konnte sich die Vielgestalt der abstrakten Moderne entwickeln, die sich der traditionellen Dualität von Form und Inhalt verweigert. Formale Repräsentation erhält den Vorzug, Interpretation wird abgelehnt. Abstrakte Formgestaltung bildet dennoch ein eigenes Narrativ aus und eine eigene Geschichtlichkeit.

Sie beginnt vor dem 1915 in Sankt Petersburg ausgestellten, berühmten Tafelbild Schwarzes Quadrat auf weißem Grund von Kasimir Malewitsch und lange vor dem angesprochenen Genre der Salonkarikatur des 19. Jahrhunderts. 1617 fand Robert Fludd, Philosoph, Theosoph und Mediziner, zu einer monochromen, erst aus heutiger Sicht abstrakten, aber noch unselbständigen Illustration, die den euklidischen Bildraum, Gegenständlichkeit und Farbigkeit negiert. Ein schwarzes Quadrat repräsentiert auratisch die prima materia, den Ursprung des AbsolutenHyle: Tenebra lucis absentia. Et sic in infinitum verkündet an allen vier Seiten die Undarstellbarkeit grenzenloser Ausdehnung der noch nicht geformten Schöpfung. Wie Fludd verfolgt auch Malewitsch ein metaphysisches Ziel. Kein Gegenstandsbezug sollte reine Empfindung behindern. 2015 wurde unter dem „Schwarzen Quadrat“ ein unerwartetes „missing link“ entdeckt. Eine Sprecherin der Tretjakow Galerie in Moskau, wo sich das Bild heute befindet, gab bekannt, dass Röntgenuntersuchungen zwei verborgene Bildschichten zum Vorschein brachten und sich eine Aufschrift entziffern lässt: Schlacht von Schwarzen in einer dunklen Höhle. Hatte Malewitsch zunächst eine Referenz an Allais erwogen, dessen Titelüberschwang noch klar dem Historismus des 19. Jahrhunderts verpflichet ist, die er verwarf? Dann hätte der bisher angenommene Bruch als voraussetzungsloser Anfang so nie stattgefunden. Erst durch die Befreiung von der Übermacht des Titels machte Malewitsch für ein autonomes Kunstwerk den entscheidenden Schritt: Die Form konnte erstmals aufgrund der reinen Beschreibung des Faktischen (der Ausstellungskatalog nennt ein Viereck) titellos sein, metaphysisch werden. 

Die Motivwahl erweist sich bei Fludd und Malewitsch als Mittel zum Verweis auf das Absolute, der monochrome Bildwitz der Salonkritik des 19. Jahrhunderts führt sie ad absurdum. Vor dem Hintergrund dieser Vergleiche lässt sich keine formal-inhaltliche Entwicklung konstruieren. Man entrinnt der Gefahr zu glauben, dass die Kunstentwicklung teleologisch in monochromer Abstraktion enden musste, wenn man anhand der diskursiv-visuellen Ästhetik erkennt: Aus völlig unterschiedlichen Denkansätzen können über die Jahrhunderte hinweg formal ähnliche Lösungen entstehen. 

Mit 10 black panels questioning art and copyright knüpft Guido Kucsko formal an die Geschichte monochrom schwarzer, abstrakter Bilder an. Die Serie besteht aus zehn Tafeln, die sich aufgrund gleicher Form, Größe und schwarzer Monochromie voneinander nicht unterscheiden. Die Schwärze wurde auf den Bildträger gewalzt. Die technisch erzeugte einheitliche Oberflächenqualität eint die Serie optisch. Jede einzelne Tafel repräsentiert die Wiederholung Desselben – eine ironische Distanzierung vom Unikatanspruch. Der serielle Charakter lässt die Massenproduktion der Industrialisierung assoziieren und steht in der Tradition der Moderne. 

Die Kombination jeder Tafel mit einer Frage als vermeintlichem Werktitel bricht die Strategie der Wiederholung. Die Fragen bilden integrale Werkbestandteile, ohne narrative Titel zu sein. Keine erläutert das ihr zugeordnete Werk – das sich indifferent als materialisierte Antwort anbietet. Zehn Fragen thematisieren Paradigmen des Kunst- und Rechtssystems: ob das überhaupt Kunst ist (#1 Is this panel a piece of art?), die urheberrechtliche Schutzwürdigkeit (#2 Is this panel copyright-protected?), die Vervielfältigung (#3 Is panel #3 a copy of panel #2?), das Schöne an sich (#4 Is this beautiful?), Un- Vollendung (#5 Is this work of art finished?) und Autorschaft (#6 Has this panel been created by the author or the printer?), ob Kunst nur in Verbindung von Werk und Titel entsteht (#7 Is this panel only art when combined with this question?), eine Wertsteigerung durch Signatur eintritt (#8 Is this panel more valuable if it is signed?), Gemeinfreiheit begründet wird, falls der Autor auf seine Rechte und Forderungen verzichtet (#9 Is this panel public domain if the author waives all rights and claims?) und schließlich, ob eine dieser Tafeln überhaupt eine Antwort auf diese fundamentalen Fragen liefern kann (#10 Is this panel an answer to these questions?). Die Fragen dienen der sachlichen Objektivierung zur Klärung des Faktischen. Opakes Schwarz als Negation des Bildraumes wirkt hermetisch. Die minimalistischen Tafeln sind eine Identität von materieller Dinglichkeit und Form ohne illusionistisches Beiwerkunmittelbare Objekthaftigkeit ohne metaphysischen Aspekt. Monochromer Bildwitz, der aber nicht ad absurdum führt, erweist sich als verschmitzt.

Jede Tafel steht ob ihrer Existenzberechtigung als Kunstwerk auf dem Prüfstein. Uns begegnen Testfälle, an denen die Frage Was ist Kunst? als Kunst erprobt wird und ihre Schutzwürdigkeit urheberrechtlich beurteilt werden will. Die Kohärenz der Tafeln macht die Zuordnung der Fragen austauschbar. Das hat Konsequenz: Jede Antwort gilt für alle. Darin liegt Distanzierung und Selbstironisierung. Mit spielerischem Ernst geht Kucsko, der Künstler, Rechtsanwalt und Urheberrechtsexperte an die Grenzen von Kunst und Recht. Er vertritt seine Werke nicht als ihr Anwalt. Sein Plädoyer bleibt aus. Er überantwortet sie dem Betrachter. Kein Urheber kann selbst bestimmen, ob das Ergebnis seiner geistigen Schöpfung ein schutzfähiges Werk des Urheberrechts ist. Die Beurteilung treffen andere. Auf die Fragen gilt es Antworten zu finden, teilweise sogar Urteile zu fällen, die Rechtsgültigkeit besitzen. Die Werke werden zur Urteilsfindung, was wahr und was falsch ist, vorgeführt. Der Betrachter mutiert zum Zeugen, Geschworenen, Richter gar. Der kritischen Ironie gegenüber beiden Systemen, Kunst und Recht, steht klar, präzise und stringent die tiefgründige Ernsthaftigkeit eines analytisch denkenden Konzeptkünstlers gegenüber. In der Kombination wirkt das provokant, amüsant und herausfordernd. Gewollt oder nicht, plötzlich findet man sich in einem Erkenntnisprozess wieder. Ludwig Wittgenstein, dem Kucsko 2014 den Zyklus Das logische Bild widmete, begreift Philosophie nicht als Lehre, sondern als Tätigkeit. Dementsprechend stellen ihre Resultate keine philosophischen Sätze dar, sondern bedeuten ein Klarwerden von Sätzen. Dieses philosophische Selbstverständnis kennzeichnet die Herangehensweise von Kucsko nicht nur für diese konkrete Serie. Die Kombination formal reduzierter, monochromer Werke mit pointiert kritischen Fragen zu Kunst und Recht, setzt Wahrnehmung und Denken – frei nach Immanuel Kant (Kritik der reinen Vernunft) – als Voraussetzung für Erkennen in Gang: Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind. Entsprechend besteht für Kunstwerke, immer die Gefahr dekorativ zu werden oder gar in die Parodie abzugleiten. Kucsko verlagert die Geschichtlichkeit des Narrativs in das Spannungsfeld zwischen Tafel und Frage. Das Urheberrecht fordert eine sinnlich wahrnehmbare Form jeder Idee für die Beurteilung ihrer Schutzfähigkeit. Souverän hält Kucsko Balance. Ein Drahtseilakt über den Untiefen des Kunstdiskurses. Das von Wittgenstein thematisierte Grundproblem, wie Sprache und Wirklichkeit einander bedingen, verlagert Kucsko in gewisser Weise in den Bereich seiner Kunst. Bilden die von ihm gestellten, sinnvollen Fragen und bei anderen seiner Werke Sätze die Kunstwirklichkeit ab? 

 

Doris Leutgeb, Dr. phil., Kunsthistorikerin, MA (Kunst und Recht), 2000-2016 Leitung Sammlung und Studienraum, Generali Foundation, Wien. Forschungstätigkeit zu: Echtheit und Fälschung, Bestandssicherung (neue Medien), Konzeptkunst, Urheberrechtsfragen; diverse Publikationen.

P.S. zu Absatz 2 :

Inzwischen (seit der Urheberrechts-Novelle 2021) enthält das österreichische Urheberrechtsgesetz in § 42f Abs 2 eine ausdrückliche Ausnahme “zum Zweck von Karikaturen, Parodien oder Pastiches”.